Zufällig zum Politiktalk eingeladen
Veröffentlicht: Sonntag, 05.11.2023 08:21
Keine Politiker, keine Publizisten, keine Verbandschefs von irgendwas - sondern bewusst zufällig ausgewählte Leute. Was passiert, wenn man die mit den Bundestagspolitikern ihres Wahlkreises zusammenbringt? Das ist Samstag im Arcadeon passiert.
Das Gesprächsformat hat sich die Gruppe "Hallo Bundestag" ausgedacht, und so kamen gestern (Samstag, den 4.11.) die 30 Zufallsgäste zum Gespräch mit drei Hagener Bundestagsangeordneten zusammen: Janosch Damen von den Grünen, Katrin Helling-Plahr von der FDP und Timo Schisanowski von der SPD. Was da passiert ist, war überraschend gut, sagen die Teilnehmer.
Leonesa Zeneli interessiert sich eigentlich nicht für Politik. Aber diesen Tag - immerhin von 10:00 Uhr morgens bis zum frühen Abend - fand sie schlicht gut: „Eigentlich interessiere ich mich nicht für Politik. Aber das Gespräch hat etwas gebracht; ich wurde gut aufgenommen, konnte meine Meinung sagen, und alle haben zugehört.“
Die Überschrift über dem Treffen: "Der Staat und wir - ein Geben und Nehmen?"
Der ganze Tag war ohne Zuschauer, damit man entspannt reden konnte. In der Schlussrunde zogen die Teilnehmer ihr Fazit: Sie lobten das Diskussionsklima, dass man sich zugehört hat, dass man ausreden konnte und dass es gut war, die Meinungen von anderen vernünftigen Leuten zu hören.
Jana Berger-Lorenz ist von Beruf Diätberaterin: „Ich bin eigentlich schüchtern, aber hier in dieser Runde habe ich diese Scheu verloren, weil in dieser Vielfältigkeit der Altersschichten jeder offen seine Meinung sagen konnte, und ich so diese Hemmung beiseite legen konnte.“
Die Zufallsauswahl brachte vor allem eines: Die Chefsprecher von Vereinen, Verbänden oder Parteien, die sonst in Gesprächen dominieren, waren nicht da. Wer da war, das waren die, die man die "schweigende Mitte" nennt. Das bringt interessante Ergebnisse, sagt Mitveranstalter Paul Naudascher. Wenn die Normalos diskutieren, entstehe eine Gemeinwohlorientierung. „Die starken Stimmen, die sonst immer anwesend sind, vertreten oft Anliegen, die ihnen persönlich sehr wichtig sind. Bei diesem Format war es sehr schnell möglich, dass es zu einer Debatte darüber kommt, was wir als Gesellschaft brauchen. Die Leute nehmen aufeinander und auf verschiedene Perspektiven Rücksicht, anstatt zu versuchen, der oder die Lauteste zu sein.“
Das Gespräch war gut, sagt auch Dachdecker Sebastian Kütting, der „mit Politik nichts an der Mütze“ hat. Ihn nervt im täglichen Umgang Respektlosigkeit und Gleichgültigkeit in der Gesellschaft. Das Gespräch im Arcadeon fand er ebenfalls gut - trotzdem kann er sich nicht vorstellen, künftig politisch aktiv zu werden. Er hat Familie und arbeitet, und da sei die Zeit für Anderes knapp. Was er sich aber vorstellen kann: da, wo es hilft, Kindern etwas vorzulesen.
Dass die schweigende Mitte mit Arbeit und familiären Verpflichtungen im Grunde ausgelastet ist, meint auch Jana Berger-Lorenz. „Ich bin ein familiärer Typ“ – und die familiäre Zeit, die neben Beruf und Haushalt bleibt, „ist wirklich eng bemessen.“ Was ihr an dieser Runde gefallen hat: Sie konnte sich auf den Tag vorbereiten, die Kinder in Betreuung geben und die Veranstaltung deshalb mitmachen. Im Alltag „ist es so, dass mir wirklich die Zeit und die Energie fehlt.“
Was bei den Interviews ein bisschen mitschwingt: Der übliche öffentlichen Polittalk mit immer denselben Talkmastern, immer denselben Profis aus dem einen oder dem andere Lager kann einen aufregen oder einlullen. Er regt aber nicht zu Mitmachen an. Vielmehr entsteht ein gleichgültiges Nebeneinander: Die machen ihre Diskussionen - wir gehen arbeiten und halten uns Leben im Griff. Die machen ihr Ding, wir machen unser Ding – jeder lebt in seiner Blase.
Deswegen ist es sinnvoll für die Politik, nach Möglichkeiten der öffentlichen Diskussion zu suchen, die anders funktionieren. Vielleicht ist es sogar eine Überlebensfrage für die Demokratie.
Die Aktion "Hallo Bundestag" will ihr Gesprächsformat weiter entwickeln, und diese Zusammenkunft soll nicht die letzte gewesen sein.